01.09.2015

Manfred Wundram (1925-2015)

Richard Hoppe-Sailer

Nachruf auf Manfred Wundram (1925-2015)

Als der 1925 in Göttingen geborene Manfred Wundram 1970 an das neu gegründete Bochumer kunstgeschichtliche Institut berufen wurde, war das eine programmatische Entscheidung. Nicht nur, dass dadurch die frühe Neuzeit und die Architekturgeschichte von Beginn an integraler Bestandteil des Lehr- und Forschungsportfolios des Instituts wurden, auch die Pluralität der methodischen Ausrichtung wurde durch diesen Ruf begründet und gesichert. Die Einübung in präzise Architekturanalysen und die intensive Diskussion der stilistischen Entwicklungslinien in Malerei und Skulptur der italienischen Renaissance legten die Grundlagen für eine ganze Reihe von Bochumer Dissertationen zum späten Mittelalter und zur frühen Neuzeit. Die von ihm zusammen mit Max Imdahl begründete Reihe der „Bochumer Schriften zur Kunstgeschichte“ legt beredtes Zeugnis davon ab. Manfred Wundram hatte in Göttingen Kunstgeschichte studiert und 1952 bei Heinz Rudolf Rosemann promoviert. Nach Studien in Florenz und einem Forschungsaufenthalt am Center for Renaissance Studies in Harvard war er als Lektor bei Reclam in Stuttgart tätig, nahm einen Lehrauftrag an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart wahr und kam 1970 ans Bochumer Institut, wo er bis zu seiner Emeritierung 1989 eine Professur für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte inne hatte.

Das wissenschaftliche Werk von Manfred Wundram ist geprägt von den Paradigmen der ‚Epoche‘ und des ‚Stils‘. So darf es nicht als Zufall verstanden werden, dass die Festschrift zu Wundrams 60. Geburtstag den Titel „Studien zu Renaissance und Barock“ (Frankfurt 1986) trug. Die bis dato erschienenen Publikationen des Jubilars kreisten – mit ausgiebigen Betrachtungen auch der zeitlich davor und danach liegenden Jahrhunderte – meist um den Übergang in die Neuzeit. Häufig waren dabei die Probleme, denen Wundram besonders zugetan war, an das Medium der Architektur gebunden: gotische Skulptur, Reliefkunst des 15. Jahrhunderts, die Fresken Raffaels, die Bauten selbst, die seine Veröffentlichungen in den späteren Jahren zunehmend prägten. Wundram war also kein Experte für das isolierte Tafelbild, sondern eher mit den Kontexten vertraut, für die Kunst produziert wurde: das situative Umfeld etwa einer Skulptur war ihm durchaus wichtig. Das prädestinierte ihn für eine Literaturgattung, mit der sich der Name Manfred Wundram für viele Leserinnen und Leser auch außerhalb der akademischen Kunstwissenschaft verbindet: Reclams Kunstführer, eine Reihe, die er als Verlagslektor einige Jahre betreute und von denen etwa der Frankreich-Führer (1967) und jener zu Florenz (1969) von ihm selbst verfasst wurde. Seit 1963 gab Manfred Wundram, ebenfalls bei Reclam, zusammen mit Carl Georg Heise, die von Heise 1956 begründete Reihe der Werkmonographien zur Kunst heraus. Von 1965 bis 1975 fungierte er als Alleinherausgeber der zahlreichen Bände, die für ganze Generationen angehender Kunsthistoriker verlässliche Einführungen zur Kunst waren und zugleich oftmals Exempla intensiver und vielschichtiger Einzelwerkanalysen darstellten. Anfang der 1970er-Jahre erweiterte Wundram den Kanon dieser Reihe um beispielhafte Werke der aktuellen amerikanischen und europäischen Kunst, deren akademische Diskussion er in Gesprächen mit Max Imdahl und den Kollegen des Bochumer Instituts intensiv kennenlernte.

Wundrams akademisches Profil hatte einerseits eine klare Orientierung in der älteren Kunst, für die er andererseits einen Vermittlungsbedarf sah. Die hier angesprochenen beiden Pole prägten Wundrams gesamte wissenschaftliche Tätigkeit, die mit den universitären Schriften nur unzureichend gekennzeichnet wäre. Seine Dissertation zum Reliefstil Lorenzo Ghibertis zeigt die im Nachkriegsdeutschland verbreitete stilgeschichtliche Haltung, mit der Wundram den Werken begegnete. Diese Haltung galt in besonderem Maß für jene Bücher, die sich an ein breiteres Publikum richteten und die Wundram bis ins hohe Alter verfasste. Die in den frühen 1960er-Jahren wurzelnde Verbindung mit dem Stuttgarter Reclam-Verlag scheint hier nur der Startpunkt für ein Publizieren gewesen zu sein, das Wundram an mehreren Überblickswerken beteiligte: 1970 der Band „Renaissance“ im Belser Verlag (später dtv-Stilgeschichte, Bd. 8) und im gleichen Jahr der Band „Frührenaissance“ in der Reihe „Kunst der Welt“, 1972 schließlich die „Europäische Baukunst. Das Zeitalter der Renaissance“. Diese Publikationen fußten auf seinen Forschungen, die er am Kunsthistorischen Institut in Florenz sowie am Harvard University Center for Renaissance Studies (Villa I Tatti) durchführte. Hier entstanden aber auch die Grundlagen für seine weitere universitäre Laufbahn: die Habilitationsschrift „Donatello und Nanni di Banco“ (Berlin: De Gruyter, 1969), die Wundram an der neu gegründeten Ruhr-Universität Bochum ablegte. Weitere Publikationen im akademischen Bereich wandten sich etwa der süddeutschen Architektur des frühen 18. Jahrhunderts (Johann Michael Fischer) zu, deren strukturelle Probleme ihn hier interessierten. Nach seiner Emeritierung 1989 setzte Wundram seine Vermittlungstätigkeit vor allem durch Publikationen zur italienischen Architektur und Kunst im 16. Jahrhundert fort, um im hohen Alter noch einmal weit auszuholen: eine „Kleine Kunstgeschichte des Abendlandes“, im Jahr 2000 erneut im Reclam Verlag erschienen. Ein Rezensent bemerkte zu dem dreihundert Seiten umfassenden Wurf die genuin florentinische Perspektive, die Wundram bei allem Bewusstsein für die Problematik von Epochengrenzen einnahm. Florenz blieb der Ausgangs- und Fluchtpunkt von Manfred Wundram, der an diesem Ort seine kunsthistorische Schulung erfahren hatte und in seinen Bochumer Seminaren und Vorlesungen immer mit Begeisterung von dieser Stadt und ihrer vielfältigen Kunstlandschaft zu berichten wusste.

Was sich in seinem wissenschaftlichen und publizistischen Werk niederschlug, prägte auch seine akademische Lehre. Manfred Wundram verstand es nicht nur, Begeisterung für das Fach zu wecken, er teilte auch immer wieder sein wissenschaftliches Interesse mit seinen Studierenden und praktizierte das, was heute so nachdrücklich eingefordert wird: forschendes Lernen. Ob in Seminaren oder auf Exkursionen, immer wieder spürten seine Studierenden die wissenschaftliche Neugierde, die ihn selber trieb, und die immer wieder von einer hoch präzisen analytischen Auseinandersetzung mit dem Werk ihren Ausgang nahm. Seine Texte sind Beispiele einer intensiven Formanalyse, die sich nie selbst genügt, sondern aus der heraus sich Fragen nach Kontext und Bedeutung nahezu zwangsläufig ergeben. Dabei war er in Bochum der ruhigere Gegenpol zu dem Rheinländer Max Imdahl. Zusammen schufen sie jene anregende Atmosphäre, die über viele Jahre das Klima am Bochumer Institut prägte. Am 14. Juni 2015 ist Manfred Wundram, kurz vor seinem 90. Geburtstag, gestorben.

Richard Hoppe-Sailer
Cornelia Jöchner

Quellennachweis:
Manfred Wundram (1925-2015). In: ArtHist.net, 01.09.2015. Letzter Zugriff 18.04.2024. <https://arthist.net/archive/10814>.

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