Die Cranachrezeption am Ausgang des 18. Jahrhunderts am Beispiel der Sammlungen des Gotischen Hauses in Wörlitz
Am 15. Juli 1786 besuchte Johann Caspar Lavater (1741-1801) den kurz zuvor durch den Fürsten Franz von Anhalt-Dessau (1740-1817) fertiggestellten und eingerichteten Erweiterungsbau des Gotischen Hauses im Wörlitzer Park. Der berühmte Schweizer Theologe hatte dem Fürsten den Kauf des größten Teils der exquisiten Sammlung an schweizerischen Glasgemälden vermittelt. Die Neuartigkeit der Architektur und Einrichtung des Hauses hat Lavater offenbar tief beeindruckt, da er in eine der Glasscheiben im Geistlichen Kabinett den Vierzeiler einritzte:
„Ihr Denkmal alter Kunst und Gottvertrauter Zeiten,
Bewundrung, Wehmuth, Muth und Hoffnung sehn euch an;
Zwar Kunst und Zeiten hin, doch zeigt ihr uns in Weiten,
Was frommer Menschheit Fleiß und ernste Tugend kann.“
Auswahl und Anordnung der Sammlung des Gotischen Hauses folgen zwar immer noch den persönlichen Interessen eines Fürsten. Auch wird mit ihr noch nicht, wie etwa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, eine systematische Kunstsammlung angestrebt. Jedoch ist die Sammlung längst nicht mehr als Teil einer bedacht inszenierten fürstlichen Prachtentfaltung zu verstehen.
Der Vers Lavaters dokumentiert die Vielschichtigkeit der Wirkungen, die vom Gotischen Haus ausgegangen sein müssen. Besonders die Präsentation alterdeutscher und alt-niederländischer Malerei mit zahlreichen Werken von der Hand beider Cranachs und ihrer Werkstätten (etwa 30 Gemälde) wurde als programmatisch empfunden.
Dieser frühen Rezeption der Werke Cranachs weit vor ihrer Blüte im Zeitalter der Romantik nachzugehen, ist das Anliegen der Tagung. Architekturgeschichtliche, kunstgeschichtliche, historische und germanistische Aspekte und selbstverständlich Cranachs Werke selbst werden in Vorträgen und Diskussionen zur Sprache kommen.
Im Folgejahr 2015 wird als Beitrag der Kulturstiftung DessauWörlitz zum Landesprojekt „Cranach der Jüngere“ in der Ausstellung „Cranach im Gotischen Haus in Wörlitz“, teilweise mit Eins-zu-eins-Fotoreproduktionen, eine Rekonstruktion der ehemaligen Einrichtung und Hängung im Gotischen Haus vorgenommen werden. Hiermit wird angestrebt, den politischen und religiösen Intentionen des Fürsten nachzuspüren und sich einer Ausdeutung anzunähern.
Die Veranstaltung wurde von der Kulturstiftung DessauWörlitz gemeinsam mit der Dessau-Wörlitz-Kommission am Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung IZEA der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg vorbereitet und steht unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Michael Wiemers (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg: Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas), Prof. Dr. Andreas Pe?ar (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Historisches Institut), Dr. Wolfgang Savelsberg (Kulturstiftung DessauWörlitz) und Reinhard Melzer (Dessau)
Programm
18. September, Donnerstag
13:30 Uhr
Anmeldung und Kaffee und Tee
14:15 Uhr
Begrüßung, Dr. Thomas Weiß, Vorstand der Kulturstiftung DessauWörlitz
Begrüßung, Prof. Dr. Andreas Pe?ar, Dessau-Wörlitz-Kommission der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU)
14:30 Uhr
Einführung, Reinhard Melzer
Themenbereich I: Das Bauwerk Gotisches Haus als Sammlungsort
Moderation: Karin Kolb
14:45 Uhr
Ingo Pfeifer
Der Architekt Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff als Gotiker
15:15 Uhr
Angelica Dülberg
Die Gestaltung des zweiten Eingangsraumes im Gotischen Haus mit Gemälden und Reliefs aus dem Dessauer Renaissanceschloss
15:45 Uhr
Diskussion
16:15 Uhr
Kaffeepause
17:15 Uhr
Astrid Wegener
Die Inszenierung der Vergangenheit im Spiegel von Löwenburg und Franzenburg
17:45 Uhr
Werner Schade
Der Fürstenaltar von Lucas Cranach d. Ä., ehemals im Gotisches Haus
18:10 Uhr
Diskussion
19:30 Uhr
Abendvortrag: Christof Metzger
Der doppelte Dürer. Von falschen Hasen und scheinheiligen Gebeten
19. September, Freitag
Themenbereich II : Englischer Einfluss und englische Bezüge
Moderation: Michael Wiemers
9:00 Uhr
Andreas Pe?ar
England in Wörlitz? Das Gotische Haus und das Ideal der Freiheit
9:30 Uhr
Megan Aldrich
Saxons or Anglo-Saxons? Neo-medievalismus in the Landscape Gardens at Stowe
10:00 Uhr
Stephan Bann
A Modern Goth: Horace Walpole and the construction of Strawberry Hill
10:30 Uhr
Diskussion
11:00 Uhr
Kaffeepause
11:30 Uhr
Wolfgang Savelsberg
Hans Holbein d. J. im Gotischen Haus
12:00 Uhr
Astrid Wohlberedt
Die Gerechtigkeit des Kaisers Trajan aus der Werkstatt von Lukas Cranach, ehemals im Gotischen Haus
12:30 Uhr
Diskussion
12:50 Uhr
Mittagspause
Themenbereich III: Gemäldeausstattung im Gotischen Haus
Moderation: Ingo Pfeifer
14:00 Uhr
Reinhard Melzer
Der Cranachbestand im Gotischen Haus
14:30 Uhr
Jochen Sander
Altniederländer im Gotischen Haus
15:00 Uhr
Diskussion
15:30 Uhr
Kaffeepause
16:00 Uhr
Susanne Wegmann
„Die mystische Vermählung der Heiligen Katharina“ L. Cranach d. Ä., Anhaltische Gemäldegalerie, ehemals Gotisches Haus Wörlitz
16:20 Uhr
Elke Anna Werner
Das Parisurteil in Cranachs Oeuvre. Varianten der visuellen Evidenzerzeugung in Dessau und anderswo
16:40 Uhr
Diskussion
17:30 Uhr
Besuch des Gotischen Hauses, anschließend ein Imbiss im Gartensaal des Gotischen Hauses
20. September, Sonnabend
Fortsetzung Themenbereich III
Moderation: Reinhard Melzer
9:00 Uhr
Mylène Ruoss, Barbara Giesicke
Glasgemälde als Bestandteil der altdeutschen Sammlung im Gotischen Haus, Wörlitz
9:30 Uhr
Karin Kolb
Carl Heinrich von Heineken und die Cranachrezeption im 18. Jahrhundert
10:00 Uhr
Diskussion
10:30 Uhr
Kaffeepause
Themenbereich IV : Vergleichende Bezüge
Moderation: Andreas Pe?ar
11:00 Uhr
Dieter Dolgner
Langhans, Gilly, Schinkel. Berliner Architekten und das Gotische Haus zu Wörlitz
11:30 Uhr
Gudrun Swoboda
„Gründung“ und frühe Rezeption der deutschen Malerschule in Wien zwischen 1780 und 1810
12:00 Uhr
Michael Wiemers
Franz Wolfgang Rohrich, Cranachfälschungen
12:20 Uhr
Diskussion
12:50 Uhr
Georg Schmidt
Ein Vaterland? Fürstenbund und Reichsreform
13:20 Uhr
Thorsten Valk
Goethes Gotik. Zur nationalpolitischen Funktionalisierung eines historischen Baustils im späten 18. Jahrhundert
13:50 Uhr
Diskussion
14:30 Uhr
Ende der Tagung
Quellennachweis:
CONF: Die Cranachrezeption am Ausgang des 18. Jh. (Wörlitz, 18-20 Sep 14). In: ArtHist.net, 02.09.2014. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/archive/8250>.