REV 25.03.2015

Christian Hecht: Katholische Bildertheologie der frühen Neuzeit

Rezensiert von Achatz von Müller
Redaktion: Livia Cárdenas
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Gemeinhin gilt der Konfessionalisierungsprozeß als die entscheidende Weichenstellung zur Neuzeit. Die Debatten der Historiker (Schilling, Blickle, von Greyerz) sind hier recht eindeutig. Aber wie steht es damit in der Bild- und Kunstgeschichte? Die protestantischen Varianten der Kritik am Bild scheinen hier eine pointierte Sprache zu sprechen. Der totale Bruch mit der Bilderfrömmigkeit insbesondere des Spätmittelalters ist nur allzu augenfällig, um nicht von einer radikalen Wende hin zu einer Pragmatisierung neuzeitlichen Wissens durch Text, Vernunft, Abstraktion zu schließen und von einer „neuen“ Wortbindung allen Wissens auszugehen. Insbesondere der englische Rationalismus seit Hobbes oder der deutsche philologische Späthumanismus in der Nachfolge Reuchlins scheinen solche epochale Zäsuren nahezulegen.

Daß es aber weitaus komplexer in der Geschichte der Bilder zugeht als es die vermeintliche oder aber auch reale Abwendung des Protestantismus vom Bild suggeriert, zeigt die „Katholische Bildertheologie“ in der postreformatorischen Wende nach dem Tridentinum. Christian Hecht hat in seinen monumentalen Studien zu den Bildtraktaten des Johannes Molanus sowie Gabriele Paleottis im Kontext einer ausgedehnten gegenreformatorischen Bilderdebatte hierzu die grundlegende Forschung geleistet.

Auf über sechshundert Seiten breitet der Autor luzide, klug, pointiert argumentierend sein fulminantes Wissen in dieser Sache aus. Er zeigt – und das sei als entscheidende Erkenntnis dieser Studie hervorgehoben –, daß die bedeutende Leistung der mit der Bildprogrammatik beschäftigten katholischen Traktate nach dem Tridentinum darin bestand, die gesamte fromme Bildtradition der Kirche bis in die Frühzeit zurück als das wesentliche Fundament geschichtlicher und gegenwärtiger Frömmigkeit zu sichern und von einer ungebrochenen Kontinuität der Rolle des Bildes in Theologie, Welt und Praxis des Katholizismus auszugehen. Damit ist zwar das wesentliche Ergebnis dieser großartigen Studie benannt, aber ihre genuine Leistung keineswegs ausreichend gewürdigt. Sie besteht darin, die außerordentliche Flexibilität der Theologie gegenüber der Bildpraxis in vielen Einzelheiten und Beispielen zu würdigen und darüber hinaus das vielgestaltige Bild hoher Elastizität, Pragmatik und zugleich frommer, theologisch abgesicherter Akzeptanz der Gestaltungsfunktion und Rolle des Künstlers durchzusetzen. Insofern bietet Hecht eben nicht nur eine Analyse des theologischen Fundamentes des Fortbestehens christlicher Kunsttraditionen, sondern zugleich auch eine grundlegende Darstellung ihrer Modernisierung durch die immer weiter ausgreifende Autonomie der Rolle des Künstlers. Dabei gibt es natürlich Grenzen, etwa bei der Frage „häretischer Bilder“, die sich für Hecht als nichts anderes erweisen als abzulehnende protestantische Bildthemen. Solche finden sich beispielsweise in der lutheranischen Fassung der Reformation in Gestalt der hier besonders beliebten Porträts der Reformatoren. Häretische Bilder sind insofern nichts anderes als Bilder der Häretiker. Damit stößt Hecht zugleich in das Wespennest der Konfessionalisierungsdebatte, die sich auch für die säkulare Ordnung der nachreformatorischen Welt als Feld der Kontroverstheologen auf beiden Seiten decouvriert.

Doch Hecht zeigt auch Ausnahmen gegenüber solchen Brüchen. So können katholische Bildtheoretiker lutherische Varianten von Allegoresen zentraler reformatorische Thematiken wie „Gesetz und Gnade“ durchaus akzeptieren, indem sie sich einer dogmatischen Interpretation verweigern, sie also nicht als Verbildlichung der Rechtfertigungslehre verstehen, sondern als wesentliches Moment der Heilsgeschichte. Auch hier zeigt Hecht pointiert und eindringlich zugleich, die ungewöhnliche Flexibilität der Bildtheologie und ihre Fähigkeit gleichsam unter dem Wahrnehmungshorizont der Konfessionalisierungsdebatte nahezu subversiv hindurchzutauchen und Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Konfessionen auszumachen ohne sie als solche zu bezeichnen. Damit sind im Flexibilisierungsbild, das der Verfasser so signifikant von dieser Bildtheologie zeichnet, zugleich weit über den Gegenstand hinausweisende Potentiale durch alle Zeiten hindurchwirkender christlicher Verständigung angedeutet. Auf merkwürdige Weise durchdringen sich somit Bildhäresie und Bildakzeptanz als Motive einer nahezu transkonfessionellen Rolle des Bildes auch in den Zeiten heftigster theologischer und politischer Kontroversen. Nicht unerwähnt bleiben sollte allerdings, daß Hecht solche Möglichkeiten eher bei Molanus als bei Paleotti verwirklicht sieht, dem er eine dogmatischere und am Ende aber erfolglosere Rolle bei der Entwicklung des katholischen Bildverständnisses zuweist.

Die Differenzen zwischen Molanus und Paleotti zeigen sich ganz konsequent auch im Kontext möglicher Rhetorisierungen des Bildes, also bei der Betrachtung des Verhältnisses von Bild und Rede. Hier ist das Feld der Rolle der Bilder als Didaktik der Ungebildeten angesprochen. Indem Paleotti diese Funktion ins Zentrum seiner Bildtheologie stellt, verschließt er sich jedoch zugleich den Möglichkeiten des Bildes, jenseits aller Rhetorik Symbolik mit Anschaulichkeit zu verbinden. Ihm bleibt gleichsam nur noch der Literalsinn und damit eine materiellere Positionierung und Bindung des Bildes an die theologische Dogmatik. Demgegenüber öffnet die freie Bildtheologie des Molanus gänzlich neue Felder für die geistige und symbolische Bildgestaltung durch die Inventio des Künstlers.

Damit öffnet Hecht auch den Blick auf die berühmten, vermeintlich strittigen Felder katholischer Bildpraxis nach der Reformation. Besonders eindrucksvoll sind hier seine Hinweise auf die für die Bildtheologen gänzlich unproblematische Nuditas in Michelangelos „Jüngstem Gericht“ oder sogar dessen Christus in Santa Maria Sopra Minerva. Der Angriff auf das Nackte im Jüngsten Gericht in der Sixtinischen Kapelle erfolgte ausgerechnet aus der Feder Pietro Aretinos, dessen bekannte „Ragionamenti“ nicht gerade als Spiegel frommer Sitten betrachtet werden kann. Aber offenbar hatte auch Aretino mit seinem Angriff auf Michelangelo weniger fromme Sittlichkeit im Blick als den Künstler für seine Weigerung zu strafen, ihn mit einem Bildgeschenk zu bedenken. Aber selbst diese nahezu förmliche Anzeige des Schriftstellers an die Inquisition vermochte die Bildtoleranz der gegen den Protestantismus um die Freiheit des Bildes ringenden Theologie nicht zu erschüttern.

Selbst die unmittelbare Auseinandersetzung um ein Bildthema im Falle des Streites um Paolo Veroneses „Gastmahl des Levi“ wartete schließlich mit einer flexiblen und pragmatischen Lösung auf. Veronese hatte das ursprünglich als Abendmahl disponierte Bild trotz mehrfacher Aufforderung in keinem einzigen der kritisierten Details verändert. Der Künstler ließ es auf eine Auseinandersetzung mit dem Inquisitionstribunal ankommen. Dieses aber schreckte vor einem Verbot des Bildes aus vielen Gründen zurück und fand eine Lösung, die ganz der posttridentinischen Flexibilität in der Bilderfrage entsprach: Das Bild wurde umbenannt. Bis heute ist es als „Gastmahl des Levi“ bekannt. Damit folgte das Tribunal recht genau dem Konzept des Molanus, der in seinem Traktat („De Picturis“, cap. XXII) geschrieben hatte: „Bisweilen sind in den Gemälden nicht diese selbst, sondern deren Bedeutung zu ändern.“ (S. 334) Pointierter läßt sich die katholische Flexibilität gegenüber dem Bild kaum artikulieren. Daß wir diese Positionen nun in der höchst elaborierten Möglichkeit, die Hechts umfassende Text- und Bildanalyse liefert, nachvollziehen können, ist gewiß sein Verdienst. Daß es darüber hinaus mit höchster Anschaulichkeit und vielfältigen lohnenswerten Darstellungen einzelner Bilderschicksale verbunden wird bis hin zu den berühmten „schmutzigen Füßen“ Caravaggios, die eben keinen theologischen Widerspruch, sondern den ästhetischen Einwand Pietro Belloris erfuhren, verdient Bewunderung und Dank.

Hecht, Christian: Katholische Bildertheologie der frühen Neuzeit. Studien zu Traktaten von Johannes Molanus, Gabriele Paleotti und anderen Autoren, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2012
ISBN-13: 978-3-7861-2622-5, 552 p., EUR 69,00, Inhaltsverzeichnis

Empfohlene Zitation:
Achatz von Müller: [Rezension zu:] Hecht, Christian: Katholische Bildertheologie der frühen Neuzeit. Studien zu Traktaten von Johannes Molanus, Gabriele Paleotti und anderen Autoren, Berlin 2012. In: ArtHist.net, 25.03.2015. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/reviews/2637>.

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